Auf diese Frage eine kurze Antwort zu geben, ist nicht leicht und man läuft stets Gefahr, die Sache einseitig darzustellen. Wir wollen es trotzdem versuchen:
Zunächst ergibt sich schon aus dem Namen, dass es um das Soziale geht, also um alles, was dadurch entsteht, dass wir nicht allein auf der Welt sind. Alles, was sich zwischen den Menschen vollzieht. Nun wird versucht dieses so allumfassende soziale Leben dadurch verständlich und handhabbar zu machen, dass man es in drei Gliedern differenziert betrachtet.
Das RECHTSLEBEN umfasst all diejenigen Fragen und Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens, über die jeder Mensch ab einem bestimmten Alter in gleicher Weise urteilsfähig ist.
Das GEISTESLEBEN dagegen bringt die Bereiche des sozialen Lebens zur Blüte, wo die Menschen verschieden urteilsfähig sind und sich gerade durch ihre unterschiedlichen Fähigkeiten und Ideen bereichern.
Im dritten Bereich, dem WIRTSCHAFTSLEBEN geht es darum, durch Warenproduktion und Handel die tatsächlichen menschlichen Bedürfnisse einer Gesellschaft zu befriedigen. Hier bedarf es einer gemeinsamen Urteilsfindung, die ganz auf den konkreten Einsichten und Erfahrungen der am Wirtschaftsvorgang Beteiligten ruht.
Rudolf Steiner beschrieb als einen Grund für den Ausbruch des ersten Weltkrieges, wie diese drei Bereiche im modernen Staat vielfach vermischt sind und chaotisch ineinanderwirken und regte deshalb die Dreigliederung an.
Auch heute ist es noch möglich, wirtschaftliche Interessen einer bestimmten Gruppe oder Nation mit den Machtmitteln eines Staates, im Zweifel durch Kriege, gegenüber der restlichen Bevölkerung dieser Erde durchzusetzen. Auch wird der Staat dafür missbraucht, einer bestimmten Kultur oder Sprache zur Durchsetzung zu verhelfen, was zur Unterdrückung von Minderheiten führen kann. Andersartigkeit kann sich dann nicht gleichermaßen entwickeln und es droht eine geistige und kulturelle Konformität und Verarmung. Dabei gerät die eigentliche Aufgabe des Rechtsstaates aus dem Blick: Jedem Menschen zu einem gleichen Mitspracherecht über die Regeln seiner Gesellschaft zu verhelfen.
Kurz gesagt übernimmt das Rechtsleben in der Dreigliederung die gängigsten Aufgaben des Staates. Also demokratische Wahlen, um Rechte und Pflichten der Menschen zu finden, die Verantwortung für eine Durchsetzung der Gesetze, und Fragen nach innerer wie äußerer Sicherheit. Ein solcher Staat wird mit der Dreigliederung nicht nur geduldet, sondern bestärkt!
Wenn wir etwa heute im deutschen Staat leben, heißt das auch, dass wir im deutschen Wirtschaftsraum und im deutschen Kulturraum stehen: Von allen Menschen, die im Rechtsraum Deutschland leben möchten, wird gleichzeitig erwartet, dass sie die deutsche Sprache lernen und mit ihren Steuergeldern die deutsche Kultur fördern. Lange Zeit wurde Deutschland von einer „Christ“- demokratischen Partei regiert. Auch wirtschaftlich meinen „wir“ uns als Deutschland gegen „die Chinesen“ oder „die Amerikaner“ durchsetzen zu müssen. Diese Kopplung von Staat, Kultur und Wirtschaft birgt die Gefahr, in einen regionalen Egoismus oder schlimmstenfalls in Nationalismus zu verfallen.
Mit der Dreigliederung sind diese Fragen nicht automatisch gelöst, aber uns ist eine Möglichkeit gegeben, mit differenzierten neuen Werkzeugen zur Zusammenarbeit, wirtschaftliche, kulturelle und rechtliche Fragen, in unterschiedlicher zeitgemäßer Weise, für eine stetig globaler werdende Gesellschaft, immer wieder neu auszuhandeln.
Utopisch nennen wir in der Regel etwas im Sozialen, das wir für irreal und nicht realisierbar halten. Insofern werden Menschen, die die Dreigliederung schätzen, sie wohl selten als Utopie bezeichnen. Aber die Dreigliederung wird und wurde schon von Beginn an immer wieder als Utopie missverstanden. Zwei Aspekte, die sie von Utopien unterscheiden, wollen wir hier kurz anführen, einmal ihre Entdeckung aus der Beobachtung und zweitens ihren völlig ergebnisoffenen Charakter.
Die Wirksamkeit der drei mit der Dreigliederung beschriebenen zwischenmenschlichen Dynamiken kann überall, auch wo sie noch verworren sind, beobachtet werden. Einen Rat holen sich Menschen freiwillig nur bei Personen, die sie für fähig halten, ein Gesetz empfinden wir nur als gerecht, wenn wir die Möglichkeit hatten, demokratisch darauf einzuwirken und wirkliche Verträge kommen nur zustande, wenn sie von allen Vertragsparteien für vorteilhaft gehalten werden usw. Somit kann man vielleicht mit Recht sagen, dass die Dreigliederung keine erfundene Theorie, sondern eine beobachtbare Realität ist. Dieses Argument wird gerne vorgebracht, allerdings überzeugt es naturgemäß nur die, die diese Beobachtung selber machen und nicht etwa Menschen, die die Dreigliederung nicht kennen und ihr skeptisch gegenüberstehen. Und wir können das Soziale auch nicht einfach wie ein Naturgesetz beobachten. Ich kann Soziales durch mein Denken und Verhalten verändern. Steiner formulierte den Unterschied 1917 einmal so:
„Eine Uhr kann man nicht mit falschen mechanischen und physikalischen Begriffen konstruieren; sie würde alsbald verraten, dass man falsche Begriffe angewendet hat. […] Kommt aber das soziale Leben, das menschliche Gemeinschaftsleben überhaupt in Betracht, dann steht man nicht bloß der Gewinnung irgendwelcher Begriffe, sondern dann steht man der Realisierung der Begriffe im Leben gegenüber. Und man hat es nach den heutigen Verhältnissen mit Lebensgebieten zu tun, in die man sehr wohl unzulängliche Begriffe einführen kann. Es zeigt sich zwar dann das Unzulängliche der Vorstellungen, der Ideen, der Empfindungen und so weiter; aber dennoch kann der Mensch in einer gewissen Beziehung, wenn er unter bloß naturwissenschaftlichen Vorurteilen lebt, hilflos dem gegenüberstehen, was als die Folge, als die Konsequenz solcher Begriffe eintritt.“ (14. November 1917: GA 73, Aufl. 2, S. 166 f.)
Laut Steiner geben Utopien Lösungen von Einzelpersonen für soziale Fragen vor, ohne zu beachten, dass auf sozialer Ebene alle Menschen mit Recht mitsprechen wollen. Wie unmöglich das ist, verdeutlichte er mit einem Schachvergleich:
„Utopien sind wirklich so, wie wenn man eine ausstudierte Schachpartie anwenden wollte, ohne Rücksicht auf den Partner.“ (Bern, 30. November 1917: GA 72, Aufl. 1 S. 267)
Es geht also mit der Dreigliederung nicht darum, eine noch klügere, noch besser beobachtete Schachpartie zur Umgestaltung der Gesellschaft zu entwerfen, sondern mit den Mitspielenden in einen Austausch zu kommen und Rücksicht darauf zu nehmen, was sie wollen. Als schon ein Jahr nach Erscheinen der „Kernpunkte der sozialen Frage“ deren vierte Auflage erschien, stellte Steiner ihr eine Vorrede voran, die sich direkt zu Beginn gegen jede Utopie wendet. Wer „mit dem Gedanken an irgendeine Utopie“ an gesellschaftliche Aufgaben herangehe, müsse sie immer verkennen. Selbst eine fiktive Person, die allein die Antwort auf absolut alle sozialen Probleme gefunden hätte, könne nichts erreichen. Denn: „Die Seelenverfassung der Menschen ist nicht so, daß sie für das öffentliche Leben etwa einmal sagen könnten: Da seht einen, der versteht, welche sozialen Einrichtungen nötig sind; wie er es meint, so wollen wir es machen.“ (Kernpunkte GA 23 Aufl. 7 S. 7) Ja sogar im Alleingang zu einem sozial richtigen Urteil zu kommen, bezeichnete Steiner 1922 als unmöglich:
„Es ist ein, ich möchte sagen, soziales Mysterium, meine Damen und Herren, daß jedes soziale Einzelurteil falsch ist.“ (Oxford, 28. August 1922: GA 305, Aufl. 3, S. 206.)
Wenn Steiner es also von vornherein für ausgeschlossen hielt, als Einzelner eine soziale Lösung, ein fertiges soziales Urteil zu finden, warum schrieb er dann alleine ein Buch über die Soziale Dreigliederung und engagierte sich so stark dafür? Sie ist eben keine fertige Lösung, sondern nur der Hinweis auf eine Methode zum Verstehen und gemeinsamen Lösen von sozialen Fragen. Gerade weil die Kernpunkte nicht utopistisch gemeint seien, werde in ihnen „durchaus nicht theoretisch festgesetzt: Dies soll so oder so sein. Sondern es wird zu Menschengemeinschaften angeregt, die aus ihrem Zusammenleben das sozial Wünschenswerte herbeiführen können. “ (GA 23, S. 14) Ironischerweise ist die Ergebnisoffenheit oft der Grund, weshalb die Soziale Dreigliederung als Utopie bezeichnet wird. Sie wird nicht unserem Wunsch gerecht, einen fertigen Plan zu haben, den wir Punkt für Punkt umsetzen und den Mitmenschen aufzwingen können. Zu denken, ein fertiger Plan sei im Sozialen möglich, ist aber das eigentlich Unsoziale, die eigentliche Utopie. Wie schon bei der Demokratie steht auch bei den anderen mit der Dreigliederung gegebenen Entscheidungswerkzeugen das Ergebnis nicht fest. Nur als solche sind sie für das Soziale geeignet und nur weil sich die Soziale Dreigliederung nicht über den Willen der aktuell beteiligten Menschen hinwegsetzt, ist sie keine Utopie.
Die Wirtschaft in der Sozialen Dreigliederung hat vor allem die Aufgabe, die gegenseitigen Bedürfnisse der Menschen in einen Austausch zu bringen. Sie kann also also neben Planwirtschaft und freier Marktwirtschaft als eine „Wahrnehmungswirtschaft“ verstanden werden. Assoziationen hießen die dafür zuständigen Zusammenschlüsse bei Steiner und auch manchen anderen. Doch sie werden leider oft entweder mit einer kapitalistischen Marktwirtschaft oder mit einer Planwirtschaft verwechselt.
Planwirtschaft oder Zentralverwaltungswirtschaft sind Bezeichnungen für eine von einem Staat oder einem anderen Zusammenschluss aus der Mitte einheitlich verwaltete Wirtschaftsform. Es gibt also nicht viele kleine Eigenbrödler, die ihre Produkte auf den Markt werfen und miteinander konkurrieren, sondern ein Produkt, das vermeintlich für alle passt. Dabei fehlt in diesem Ansatz eine Wahrnehmungsmöglichkeit für die tatsächlichen individuellen Bedürfnisse der Menschen. Denn, was ich zum Beispiel an Lebensmitteln brauche, vertrage usw. das kann nicht eine Zentrale für mich entscheiden, sondern das kann ich zunächst nur selbst wahrnehmen. Dieser Fehler der Planwirtschaft wird von kapitalistischer Seite als Argument für die freie Marktwirtschaft vorgebracht. Unter anderem Friedrich August von Hayek sah die Unfähigkeit, die Bedürfnisse der Menschen wahrzunehmen als charakteristisch für die Planwirtschaft an. Doch als Lösung betrachtete er wie viele den freien Markt. Dieser habe mit dem Preismechanismus ein Kommunikationsmedium um Bedürfnisse und Angebote in einen Austausch zu bringen. Der Gedanke ist klar: Mangelt es an einem Produkt, können die Preise angehoben werden und das wird wahrnehmbar. Umgekehrt bei zu geringer Nachfrage. Aber ist das wirklich eine Wahrnehmung? Natürlich kann ich als Landwirt mitbekommen, wenn ich meine Äpfel nicht verkauft kriege, ich rieche vielleicht sogar den Schimmel im schlimmsten Fall, aber das ist eher eine nachträgliche Wahrnehmung und keine Erkenntnis von dem tatsächlichen Bedarf.
Genauer betrachtet, ist die freie Marktwirtschaft sogar das Gegenteil von einer Wahrnehmungswirtschaft: Wir vertrauen ihr besonders mit blinden Akteuren. Adam Smiths „unsichtbare Hand“ des Marktes, die, ohne dass wir es wahrnehmen, regulieren soll, wenn sich nur jeder auf seinen Egoismus verlässt, zeigt wie wenig eine echte Wahrnehmung von Anfang an in der Marktwirtschaft veranlagt ist. Der freie Markt funktioniert, wenn wir alle unsere Kosten geheim halten und versuchen, das Größtmögliche aus unserem Gegenüber herauszupressen. Und wir fürchten uns sogar davor, wenn Großkonzerne wie Amazon oder Google es doch schaffen, eine Wahrnehmung von unseren Bedürfnissen zu bekommen. Letzteres ist, weil diese Daten verwendet werden, um uns möglichst viel zu verkaufen, möglichst viel Geld abzuknüpfen und besonders weil hier eben eine für alle anderen verschleierte „Privatwahrnehmung“ angestrebt wird, natürlich wirklich bedenklich. Aber grundsätzlich ist die Wahrnehmung der gegenseitigen Bedürfnisse eine Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Wie lässt sich eine solche Wahrnehmung denn gewinnen, wenn nicht allein durch das Schwanken der Preise? Es mag banal klingen, aber das Naheliegendste wäre doch, sich einfach über die gegenseitigen Bedürfnisse auszutauschen. Nicht über verschleierte Preismechanismen oder unsichtbare Hände, sondern ganz offen und direkt. Wie in der assoziativen Wirtschaft. Die Hauptaufgabe der Wirtschaft in der Dreigliederung ist es nämlich, Konsum-, Handels-, und Produktionsinteressen in einen Austausch zu bringen und ihnen zu einer gegenseitigen Wahrnehmung zu verhelfen. Die ist heute den großen Handelskonzernen vorbehalten, die sich hochkomplexe Wahrnehmungsorgane programmieren können, aber sie wäre genauso wichtig für Konsument*innen und Produzent*innen.
Es gibt vereinzelte Ansätze, die versuchen auf diesem Austausch aufzubauen. Mit der solidarischen Landwirtschaft, die sich um einen Austausch von Konsument*innen und Landwirt*innen bemüht und Teikei Coffee, die dazu noch Handel und Transport mit an den Verhandlungstisch holen, haben wir versucht, zwei solcher Ansätze in unserem Film vorzustellen. Durch diesen Austausch, der es Produzent*innen ermöglicht, nicht über den Bedarf hinaus zu produzieren und Konsument*innen die Möglichkeit gibt, die Schwierigkeiten bei der Produktion zu verstehen, kann eine wertschätzende Wahrnehmung füreinander entstehen und es können richtige Preise ausgehandelt werden. Rudolf Steiner sah als Aufgabe der „Assoziationen“, die teils gegensätzlichen Interessen von Konsum, Handel und Produktion in einem größeren Maßstab zusammen- und in einen Austausch zu bringen. Mit Assoziationen kann gewirtschaftet werden, ohne dass blinde Eigenbrödler einander auf dem Markt ausstechen müssen. Sie versuchen, Wirtschaftsgemeinschaften zu bilden, die aber nicht nach einem zentralen Schema verwaltet werden, sondern durch einen Austausch und eine Kompromissfindung gegensätzlicher Bedürfnisse. Die assoziative Wirtschaft ist also genau das, was den beiden vermeintlich so gegensätzlichen Ansätzen aus Sozialismus und Kapitalismus fehlt: Eine echte Wahrnehmungswirtschaft.
Die Soziale Dreigliederung ist nicht im klassischen Sinne politisch. Zwar behandelt Sie gesellschaftliche Fragen, ist jedoch politisch nicht verortbar zwischen links, rechts und mitte. Dieser neue unpolitische Blick auf politische Fragen mag verwirrend sein. In unseren Augen ist er jedoch ein großer Gewinn: Eine absolut neue Perspektive!
Wir wurden häufig nach der politischen Ausrichtung des Films gefragt. Lasst euch überraschen und schaut ihn an!
Dann werdet ihr bemerken, dass die Soziale Dreigliederung versucht, jede Verknüpfung von Kultur und Nation zu verhindern und dadurch Nationalismus grundlegend bekämpft, durch die strikte Trennung von angeborenen Eigenschaften und Rechtsfragen rassistische Tendenzen verurteilt, und wie sie gleichzeitig die größte individuelle Freiheit ermöglicht und wirtschaftlich niemanden durchs System fallen lässt.